Humoreske von Paul Bliß..
in: „Providencer Anzeiger” vom 18.05.1901,
in: „New Ulm Post” vom 12.11.1920 (hier: Der lockere Zeisig in der Falle)
Die Coupethür war schon geschlossen, gleich sollte das Signal zur Abfahrt gegeben werden, aber noch immer hielt Frau Mila die kleine Hand zum Fenster hinaus und drückte und streichelte ihres Mannes Hand.
„Und Du wirst auch brav und solid sein, Fritz,” bat ihre liebliche weiche Stimme.
„Aber natürlich, Schatz!”
„Und wirst mir jeden Tag schreiben, wie Du ihn verlebt hast.”
„Na, mein Kind, jeden Tag schreiben,das ist doch wohl nicht gut möglich.”
„Sagen wir: jeden zweiten Tag,”
„Sagen wir: jede Woche einen Brief.”
Jetzt pfiff die Maschine. Der Zug fuhr ab.
„Also Wort halten, Fritz!”
„Gewiß, Frauchen! Glückliche Reise! Adieu! Adieu!”
Ein Grüßen und Winken von beiden Seiten, dann fuhr der Zug zur Halle hinaus.
Fritz war allein.
Langsam und sinnend verließ er den Perron — zum ersten Mal, nach einjähriger Ehe, wieder allein — seine Frau wollte ihre Eltern besuchen, und in drei Wochen sollte er kommen, sie abzuholen — also drei ganze Wochen allein.
Als er in das Gewühl der Straße trat, durchzuckte ihn plötzlich ein heißes Gefühl der Freude — es war ihm, als wären jetzt alle Fesseln der Ehe abgestreift, als wäre er wieder los und ledig, ein flotter Junggeselle, der das Gute nimmt, wo er es findet.
Mit ordentlichem Wohlbehagen warf er sich mitten hinein in das Gewühl, wo es am tollsten war — ein heißer Drang nach wildem schäumendem Leben ward lebendig in ihm — es war, als müßte er sich entschädigenfür das einjährige Philisterium der Ehe — und „Leben! Genießen! Aus vollem Becher schlürfem!” Das jubelte laut in seiner Brust auf.
So ließ er sich weiter treiben von dem drängenden Menschenstrom.
Plötzlich bekam er einen Ruck. Die Dame vor ihm fiel auf. Erstaunt musterte er ihre Figur, ging dann einen Schritt vor, sah ihr in's Gesicht, und als er sah, daß dies Gesicht so reizend lieb, wie die Figur vollendet schön war, wich er nicht mehr von ihrer Seite.
Kaum fünf Minuten später sprach er sie an: „Sie gestatten. meine Gnädigste, daß ich Sie aufmerksam mache — eins der kleinen Packetchen wird gleich Ihren Händen entgleiten.”
Die Dame sah erstaunt auf den Sprecher, ließ dann den Blick über ihre Päckchen huschen, und endlich sagte sie lächelnd: „Es fällt zwar keins der Packete; aber ich danke Ihnen dennoch.”
„Würden mir die Gnädigte erlauben, daß ich die kleinen Packete trage — hier in dem Gedränge kann wirklich leicht etwas verloren gehen —” mit galanter Geste zog er den Hut.
„Ich danke Ihnen,” sagte sie nur, lächelte aber doch ein wenig, wenn's auch ganz versteckt war.
„Dann gestatten mir die Gnädigste wenigstens, daß ich Sie begleite, falls eins der Packetchen fallen könnte —”
Jetzt lächelte sie gaz offen und sagte: „Wenn es Ihnen Vergnügen macht.”
So gingen sie neben einander hin.
Er spreach von allen möglichen und unmöglichen Sachen; aber immer mit Geist und Takt; und sie hörte ihn ganz ruhig an, lächelte hier und da, warf auch wohl ein paar Worte ein, trat aber nie aus der vornehmen Reserve heraus.
Am Brandenburger Thor verabschiedete sie ihn, weil sie in eine Pferdebahn einsteigen wollte.
„Darf ich Sie nicht wiedersehen, meine Gnädigste?” bat er flehentlich.
„Bedaure, mein Herr; Sie täuschen sich in mir.”
„O, verkennen Sie mich nicht, Gnädigste! Ich möchte Sie nur wiedersehen, um mit Ihnen zu plaudern.”
„Bedaure sehr.”
„Aber, meine Gnädigste, wenn ich Ihnen die heilige Versicherung gebe!”
Die Pferdebahn kam, schon war sie ganz nahe.
„Bitte, bitte, Gnädigste! Wo und wann?”
Da lächelte sie ganz reizend schelmisch und flüsterte: „Also morgen 12 Uhr am Neuen See beim Bootshäuschen.” Dann stieg sie in den Wagen und fuhr davon.
Und er, strahlend vor Glückseligkeit, sah ihr nach und grüßte mit ausgesuchter Höflichkeit. Dann, als sie seinen Augen entschwunden war, machte er Kehrt und ging langsam zur Stadt zurück; vorher aber holte er ein Bleistiftchen heraus und kritzelte auf seine Manschette: „12 Uhr Neuer See — Bootshaus.” — Besser ist besser, dachte er, man kann nie wissen, was dazwischen kommt, zumal wenn man so zerstreut ist, wie ich es bin.
Und dann ging er in den Club, wo man seiner bereits sehnsuchtsvoll harrte, und nun feierte er den ersten Abend seiner Strohwittwerschaft so lustig und so andauernd, daß aus Abend und Nacht der helle Morgen wurde, bevor er nach Hause kam.
Am andern Vormittag um 10 Uhr kam Frau Mila plötzlich wieder zurück. In dem Hause ihrer Eltern war seit vorgestern eine ansteckende Krankheit ausgebrochen, und deshalb war die junge Frau voller Entsetzen und Angst gleich wieder abgefahren.
Als Frau Mila von dem Mädchen erfuhr, daß der Herr erst gegen Morgen nach Hause gekommen war, wurde sie zwar ärgerlich, störte ihn aber trotzdem nicht, sondern dachte: Laß ihn erst seinen Rausch ausschlafen, dann wirkt die Predigt besser.
Ganz behutsam öffnete sie die Thür des Schlafzimmers und überzeugte sich, daß der theure Gatte laut schnarchte.
Da sah sie auf dem Boden die Manschetten liegen, die er beim Entkleiden achtlos hingeworfen hatte, und ordnungsliebend, wie sie war, hob sie beide auf. Plötzlich entdeckte ihr Auge die Worte, die er gestern in aller Eile darauf gekritzelt hatte. Und nun war sie ganz verblüfft.
„12 Uhr Neuer See — Bootshaus”, las sie voll Empörung, ach, das kann nur ein Rendezvous sein! Ohne Zweifel! Er hatte die Zeit des Alleinseins auskosten wollen und war in seine Gewohnheiten aus der Junggesellenzeit zurückgefallen. Aber wehe Dir! Du hast die Rechnung ohne mich gemacht, mein lieber Mann!
Sofort war ihr Plan gefaßt.
Sie gebot dem Dienstmädchen, ihre Ankunft dem Herrn strengstens zu verschweigen, dann packte sie all ihre Sachen sorgsam fort, damit er ihre Anwesenheit nicht merkte, und dann verließ sie das Haus.
O, sie wollte ihn schon überraschen, den Don Juan.
Punkt zwölf Uhr war sie am Neuen See.
Das aber, was sie dort zu finden hoffte, eine fesche kleine Dame, das fand sie nicht, dagegen aber promenirte ein eleganter Herr bei dem neuen Bootshaus auf und ab.
Sie dachte: Gut, warten wir — und setzte sich auf eine Bank in der Nähe.
Nachdem sie eine gute Viertelstunde gesessen hatte und weder eine Dame noch ihr Mann erschien, wurde sie unruhig. Sie stand auf und ging näher an das Bootshaus heran.
Noch immer ging drüben der Herr auf und ab.
Sie sah den andern Weg hinunter, aber auch da war kein Mensch. Enttäuscht, fast verärgert, kam sie zurück.
Da sprach der Herr sie an: „Sie erwarten wohl auch Jemand, meine Gnädigste?”
Erstaunt und empört sagte sie: „Allerdings,”, und ging weiter.
Er aber ging einfach mit ihr. „Ich nämlich auch.”
„Das interessirt mich gar nicht.”
„Pardon! Da wir aber Leidensgenossen sind, will sagen, da wir Beide umsonst zu warten scheinen, so dürfte uns das vielleicht näher zusammenbringen.”
„ich kann Ihnen nur sagen, daß Ihre Vermuthungen durchaus irrig sind,” sagte sie sehr kurz.
Und er überlegen lächelnd: „Die Erregung, die aus Ihnen spricht, sagt mir deutlich, daß Sie über dies Verfehlen sehr enttäuscht sind — ich wette hundert gegen zehn. Sie erwarten sicher einen Herrn.”
„Und Sie doch sicher eine Dame!” platzte sie wüthend heraus.
„Zufällig nicht,” lächelte er.
„Nun, ich auch nicht,” entgegnete sie kurz.
„O,” rief er nun heiter, „das macht die Situation erst recht interessant: Sie erwarten keinen Herrn und ich keine Dame! Aber dann ist es vielleicht umgekehrt?”
Leichthin zuckte sie die Schultern.
„Damit Sie aber sehen, daß ich nicht der bin, für den Sie mich halten, nämlich ein Schwerenöther, will ich Ihnen sagen, daß ich hier ein Exemplar der oben genannten Species erwarte, um ihm zu zeigen, daß man nicht anständigen Frauen nachläuft”— und lächelnd schwang er ein leichtes Stöckchen.
Jetzt wurde Frau Mila aufmerksam. „Ich verstehe Sie nicht,” sagte sie etwas unsicher.
„O, sehr einfach — meine Frau ist gestern belästigt worden, und um den frechen Patron zu bestrafen, hat sie ihn für heut 12 Uhr hierher bestellt, dann aber mich hergeschickt, um die Strafe auszutheilen.”
Frau Mila durchschaute Alles.
Mit verlegenem Lächeln sagte sie: „Dieser Strafaustheilung sid Sie überhoben, mein Herr, denn ich bin die Frau des Mannes, den Sie hier erwarten, ich werde ihn schon allein strafen.”
„Ah — das freut mich umsomehr!” rief der Herr nun lachend, „und um die Strafe recht streng zu gestalten, erlauben Sie mir, daß ich Ihnen jetzt den Hof mache!”
„Das wäre entschieden zu hart gestraft,” entgegnete sie, &bdquoi;dagegen möchte ich Sie bitten, mich jetzt zu verlassen, denn ich sehe dort drüben meinen Mann kommen.”
&bdquoi;Wenn Sie es denn durchaus wünschen, gnädige Frau!” — Er grüßte galant und ging.
Und nun setzte sich Frau Mila so, daß ihr Mann vorerst nichts von ihr sah, als nur den Sonnenschirm.
Leicht und flott kam der Herr Gemahl daher. Er war jugendlich elegant gekleidet und trug ein paar langgestielte Rosen in der Hand; aus seinen Augen leuchtete die Freude, denn er schwamm in einem Meer von Wonne; schnell trat er heran.
„Ah, meine Gnädigste! Tausendmal Verzeihung, daß ich warten ließ!”
Da ließ Frau Mila den Schirm fallen, und Fritz sah seine Frau vor sich sitzen.
Entsetzt prallte er zurück und starrte mit weit aufgerissenen Augen ihr entgegen — das begroff er nicht!
Da aber rief sie ihn in die Gegenwart zurück — und das, was nun folgt, das verschweigt wohl besser des Sängers Höflichkeit.
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